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Zunehmende Gefahren durch Antibiotika-Resistenzen

Interview von Dr. Steffen Jakobs

Die Einnahme von zu viel Antibiotika kann mehr schaden als nutzen. So sind Antibiotika-Resistenzen in Europa weiter auf dem Vormarsch. Laut der europäischen Seuchenbehörde ECDC sterben jährlich mehr als 33.100 Menschen in Europa, weil bakterielle Krankheitserreger gegen Antibiotika resistent sind. [1] Wie Antibiotika-Resistenzen entstehen und welche Folgen dies für Patienten haben kann, erklärt der Pharmazeut Prof. Dr. Peter Heisig aus Hamburg. 

1. Herr Prof. Heisig, was versteht man unter Antibiotika-Resistenzen?

„Antibiotika-Resistenzen beruhen auf einer besonderen genetischen Ausstattung von Bakterien. Veränderte Gene, die das Überleben der Bakterien in Anwesenheit von Antibiotika ermöglichen, werden auf die Nachkommen übertragen. Zum einen gibt es die natürliche Antibiotika-Resistenz, wie z.B. gegen Makrolidantibiotika, wie Erythromycin, die bei bestimmten Bakterienarten, wie z.B. E.-coli-Stämmen nicht ausreichend wirksam sind. Zum anderen gibt es erworbene Resistenzen. Bei diesen wird einzelne Stämme einer Bakterienart unempfindlich gegen bestimmte Antibiotika, gegen die sie normalerweise empfindlich sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist diese erworbene Antibiotika-Resistenz gemeint.“

Prof. Dr. Peter Heisig erforscht am Biochemie und Molekularbiologie der Universität Hamburg Mechanismen der Entstehung und Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen sowie deren ökologische Auswirkungen. 

2. Wie entstehen Antibiotika-Resistenzen?

„Im Wesentlichen führen zwei genetische Mechanismen zu einer erworbenen Antibiotika-Resistenz. Erstens die Veränderung der im Bakterienchromosom vorhandenen genetischen Information an bestimmten Positionen, wodurch anschließend eine Antibiotika-Resistenz hervorgerufen wird und zweitens die Übertragung von Resistenzgenen von resistenten Bakterien auf bis dato nicht resistente Bakterien. Bei beiden genetischen Mechanismen können die Veränderungen über drei verschiedene Grundmechanismen zur Antibiotika-Resistenz einer Zelle führen (siehe Abbildung unten): Zum Beispiel kann ein Antibiotikum über reduziert gebildete Kanäle erst bei höherer Konzentration in die Zelle eindringen oder durch bestimmte vermehrt Pumpenproteine aus dieser ausgeschleust werden. Dadurch verringert sich die Antibiotika-Konzentration in der Zelle. Ein anderer Mechanismus ist die zusätzliche Bildung und/oder Aktivierung von Enzymen, die Antibiotika chemisch inaktivieren können. Folglich wird deren Wirkung verhindert. Zum Dritten kann der Angriffspunkt des Antibiotikums in der Zelle derartig stark verändert werden, dass es nicht mehr zur Bindung des Antibiotikums und dadurch zum Wirkungsverlust kommt.

 

„Ein Bakterienstamm plötzlich multiresistent
gegen bis zu 12 Antibiotika“

 

Viel gefährlicher ist es, wenn Bakterien die genetische Information von anderen bereits resistenten Bakterien aufnehmen. Diese „genetischen Zusatzinformationen“ erlauben es diesen Bakterien, sich erfolgreich gegen Antibiotika zu wehren. Dabei besteht das Risiko, dass mehrere Resistenzgene gleichzeitig übertragen werden und sogar in das Bakterienchromosom aufgenommen werden. Unter Umständen kann dadurch ein Bakterienstamm plötzlich multiresistent gegen bis zu 12 Antibiotika in einem Schritt werden.“

Dargestellt sind verschiedene Mechanismen, die Antibiotika-Resistenzen verursachen können.

3. Was können die gesundheitlichen Folgen von Antibiotika-Resistenzen für Patienten sein?

„Für Patienten ist vor allem die klinische Antibiotika-Resistenz relevant: Damit ist die Resistenz gegen Antibiotika in Konzentrationen, wie sie bei normaler Dosierung je nach Anwendungsformen (z.B. oral über Tabletten oder intravenös über Infusionen) am Infektionsort erreicht werden. So besteht bei nicht korrekter Antibiotikum-Anwendung (wenn z.B. bei Krankheitsbeginn nicht bekannt ist, um welchen spezifischen Erreger es sich handelt) die Gefahr, dass das gegebene Antibiotikum nicht richtig oder gar nicht wirkt. Welche Folgen Antibiotika-Resistenzen für Patienten haben, kann nicht pauschal beantwortet werden. Das Spektrum reicht von vorübergehenden leichten Infektionszeichen bis hin zu lebensbedrohlichen Infektionsverläufen. Schlimmstenfalls breiten sich die Krankheitserreger im Rahmen einer Sepsis über das Blutgefäßsystem aus und führen durch Multiorganversagen zum Tod des Patienten. Jedoch ist u.a. auch der Gesundheits- und Immunstatus entscheidend für den Schweregrad und Verlauf der Infektion.

 

Geschwächtes Immunsystem kann zu schweren und längeren Infekten führen"

 

Ein gut funktionierendes Immunsystem kann pathogene Keime meist schnell abwehren. Zusätzlich können aber, z.B. bei häufig in der kalten Jahreszeit auftretenden Atemwegsinfekten, zur Unterstützung der Immunabwehr schleimverflüssigende Substanzen (Sekretolytika) eingesetzt werden, die den zähen Schleim mit den daran haftenden Bakterien besser abfließen lassen. Falls aber Grunderkrankungen wie Asthma, Diabetes oder Tumorleiden das Immunsystem schwächen, können sich die Erreger im Organismus ausbreiten, was dazu führt, dass solche Infekte wesentlich schwerer verlaufen und länger andauern. Problematisch für Patienten kann es sein, wenn „gute Bakterien“, die natürlicherweise die von außen zugänglichen Körperoberflächen der Haut und Schleimhaut besiedeln und als Mikrobiom zusammengefasst werden, ebenfalls von genetischen Veränderungen betroffen sind und dadurch selbst resistent werden bzw. diese genetischen Informationen an Krankheitserreger weitergeben. Hier besteht das Risiko, dass resistente Krankheitskeime auf andere Patienten oder auch auf gesunde Personen übertragen werden können. Der resistente Krankheitskeim kann sich dann ausbreiten und unter Umständen sogar die „guten“ Bakterien überwachsen. Dies kann zur Folge haben, dass bei einer späteren Anwendung von Antibiotika auch bei Personen mit gutem Gesundheitszustand nicht ausreichend wirken können.“

4. Welche Maßnahmen kann man treffen, um Antibiotika-Resistenzen zu reduzieren oder zumindest nicht weiter zu fördern?

„Ganz wichtig ist, eine sichere und genaue Diagnose zu stellen und sicherzugehen, dass Infektionen nicht z.B. durch Viren oder Pilze hervorgerufen wurden. In diesen Fällen können Antibiotika nicht helfen und würden nur unnütz zum Einsatz kommen und die Entwicklung von Resistenz bei körpereigenen „guten“ Bakterien verursachen. Zu Beginn einer Antibiotika-Therapie stellen sich vor allem die Fragen: 1. Mit welchem Erreger hat man es zu tun, 2. welche Resistenzmechanismen besitzt der Erreger und 3. welche Krankheit(en) kann er an welchem Infektionsort auslösen? Um dies zu beantworten, muss zunächst eine rasche Erregeridentifizierung durch z.B. moderne molekularbiologische oder biochemische Untersuchungen erfolgen. Handelt es sich um einen bakteriellen Erreger, wird direkt auch dessen Empfindlichkeit für verschiedene Antibiotika ermittelt, um so schnell wie möglich eine gezielte Behandlung der Infektion einzuleiten. Dies ist insbesondere bei Personen wichtig, die an schweren Grunderkrankungen wie Herzkreislauferkrankungen leiden oder beatmet werden müssen, da in diesen Fällen ein möglichst schneller Beginn der Behandlung die Erfolgsaussichten deutlich erhöht.

 

„Eine strikte ärztliche Indikationsstellung und eine noch bessere Diagnostik der Erreger können unnötigen Antibiotikaeinsatz reduzieren“

 

Bei einer Antibiotika-Anwendung gilt es, möglichst gezielt vorzugehen: Die Krankheitserreger sollten zielgerichtet mit Antibiotika abgetötet und gesunde Keime verschont bzw. nicht geschädigt werden. Die Behandlung mit Antibiotika sollte nicht „halbherzig“, sondern in ausreichender Dosierung erfolgen, da ansonsten die Krankheitskeime gar nicht gehemmt und/oder spontane Resistenzen gefördert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Therapieerfolg ist die Dauer der Behandlung. Diese darf weder zu kurz noch zu lang sein. Bricht man die Anwendung zu früh ab, können sich noch nicht gehemmte Keime wieder weiter vermehren und sogar dabei resistente Varianten hervorbringen. Ein zu langer Einsatz schädigt häufig die „guten“ Keime, obwohl die Krankheitserreger nicht mehr im Körper vorhanden sind. Dadurch kann die natürliche körpereigene Abwehr geschwächt werden und von außen kommende Keime haben eine größere Chance sich im Körper festzusetzen.“

5. Sind Antibiotika bei jedem Patienten gleich wirksam?

„Grundsätzlich muss beachtet werden, dass ein Antibiotikum zwar dem Patienten gegeben wird, es seine Wirksamkeit aber nicht direkt auf diesen, sondern auf Bakterien, die im, am oder auf dem Patienten vorkommen, entfaltet. Ein Antibiotikum ist also mit zwei Organismen konfrontiert: dem Menschen und den entsprechenden Bakterien, gegen das es eingesetzt wird. Im menschlichen Körper kann ein Antibiotikum durch die Nieren bzw. die Leber biochemisch verändert und/oder ausgeschieden werden. Dies wiederum beeinflusst die Antibiotika-Menge am Wirkort im Körper, also dem Ort, an dem der zu bekämpfende Keim sitzt. Es existieren tatsächlich individuelle Unterschiede hinsichtlich der Ausstattung mit Leber- und Nierenenzymen, die Antibiotika und andere Arzneistoffe abbauen. Es gibt Menschen, bei denen antibiotische Wirkstoffe schnell modifiziert und abgebaut werden und es gibt Menschen, bei denen diese Prozesse länger dauern. Dies beeinflusst letztlich auch die Antibiotikamenge am Infektionsort und damit die Wirksamkeit beim einzelnen Patienten.

 

„Eine Antibiotika-Behandlung ist äußerst komplex und immer ein Wechselspiel zwischen Bakterium, Patienten und Antibiotikum.“

 

Bei Patienten, deren Durchblutung durch eine Grunderkrankung oder aber durch die Folgen der Infektion beeinträchtigt ist, kann die Menge an Antibiotika am Infektionsort nicht ausreichend sein. Daher erfordert eine angemessene Antibiotika-Anwendung viel Wissen über den Patientenstatus. Dies zeigt sich beispielsweise auch bei Harnwegsinfektionen. Ein einfacher, nicht lebensbedrohlicher Harnwegsinfekt ist zu 95% durch E. coli-Erreger ausgelöst. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die einmalige Gabe eines geeigneten Antibiotikums (zusätzlich zu einer erhöhten Flüssigkeitszufuhr) ausreichen, um die Infektion in den Griff zu kriegen. Bei schweren Niereninfektionen, die durch angeborene oder krankhaft veränderte Harnwegsableitungen zustande kommen, ist es komplizierter. In solchen Fällen kann die Flüssigkeit aus der Niere nicht geradlinig zur Harnblase ablaufen, sondern staut sich. Der dadurch blockierte natürliche Ausspüleffekt des Harns führt dazu, dass die darin befindlichen Bakterien sich vermehren und bis in die Niere und andere Organe ausbreiten können. Dieser Infektionsort ist mit Standard-Antibiotika nur schwer zu erreichen. Abhängig von der Infektionsart, anatomischen Besonderheiten und dem Patientenzustand kann es daher notwendig sein, weitere Maßnahmen wie z.B. die Gabe anderer, speziellerer Antibiotika einzuleiten. Analysen von Variationen der Antibiotika-abbauenden Nieren- und Leberenzyme können also in derartig schweren Fällen eine Hilfe für die richtige Antibiotika-Auswahl sein. Insgesamt stellen solche Analysen eine zusätzliche Option dar, die bei Versagen klassischer Therapiemöglichkeiten unter Umständen zusätzliche Erkenntnisse für die Behandlung liefern und somit weiterhelfen können.“

 

 

Vorlesung zur Mikrobiologie für Interessierte
Prof. Heisig: „Wir bieten hier im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg jedes Semester eine sog. allgemeine Vorlesung an, die auch von Nicht-Universitätsmitglieder besucht werden kann (weitere Informationen hier). In dieser vermitteln verschiedene wissenschaftlich tätige Kolleginnen und Kollegen Inhalte zu verschiedenen Themen darunter auch immer wieder zur Mikrobiologie, zu Infektionskrankheiten und zur Synthese, Wirkungsweise und Resistenz neuer Antibiotika. Diese Veranstaltungen sind so konzipiert, dass sie durchaus auch ohne große wissenschaftliche Vorkenntnisse aufschlussreich und interessant sind. Im Jahr 2017 lag der Schwerpunkt auf Antibiotika-Resistenzen. Als weitere Informationsquelle für alle angesprochenen Aspekte kann ich auch das aus der o.a. Vorlesungsreihe entstandene, von mir herausgegebene Buch (Heisig, P. (2018) Update Pharmazie: Antibiotikaresistenz) der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart empfehlen, das auf Deutsch verfasst ist" (weitere Informationen hier)

Literatur

[1] Cassini, A. et al. Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a population-level modelling analysis. Lancet Infect Dis 19, 56–66 (2019).